sich selbst und andere verstehen lernen

Bindungstypen nach Bowlby und Ainsworth: Das bedeuten sie für dich und deine Beziehung

  • Veröffentlicht: 22.04.2023
  • 09:00 Uhr

Es fällt dir schwer, das Verhalten deines Partners oder deiner Partnerin zu verstehen, und ihr stoßt immer wieder auf dieselben Probleme in eurer Beziehung? Eine Möglichkeit, mehr Verständnis füreinander aufbringen und Probleme tatsächlich lösen zu können, ist das Wissen über die vier Bindungstypen. Kennst du sie schon?

Das Wichtigste in Kürze

  • Ein Bindungstyp entwickelt sich bereits in der Kindheit und beschreibt wie wir uns in Beziehungen zu anderen Menschen verhalten.

  • Bindung wächst vor allem durch Vertrauen. Das Grundbedürfnis nach Nähe und Geborgenheit trägt jeder Mensch von Geburt an in sich.

  • Welche vier Bindungstypen es laut der Bindungstheorie gibt, erfährst du weiter unten.

Was sind Bindungstypen?

Ein Bindungstyp beschreibt, welches Bindungsverhalten jemand in Beziehungen zu anderen Menschen zeigt. Dieses Verhalten entwickelt sich bereits in der Kindheit durch die ersten Bindungs- und Erziehungserfahrungen. Je nach Erfahrung entwickelt ein Mensch eher sichere oder eher unsichere Bindungsmuster, die eine große Auswirkung auf spätere Beziehungen, egal, ob familiär, romantisch oder platonisch, haben.

Wie du Beziehungsprobleme ansprechen und lösen kannst und was Merkmale einer toxischen Beziehung sind, haben wir hier für dich.

Was ist Bindung?

Der Begriff Bindung steht in der Psychologie stellvertretend für die emotionale Beziehung zwischen Kind und Bezugspersonen, also meist den Eltern. Die Bindung wächst vor allem durch Vertrauen. Und dieses Vertrauen baut sich in den ersten Lebensmonaten eines Menschen vor allem dadurch auf, dass die Grundbedürfnisse erfüllt werden. Schließlich ist ein Baby in dieser Erfüllung vollkommen abhängig von seinen Eltern. Die Stärke der Bindung zeigt sich wiederum im Bindungsverhalten, das für die Verhaltensweisen eines Kindes in neuen Situationen steht. Denn je nach Stärke der Bindung fühlt sich ein Kind sicher genug oder nicht, um seine Umwelt zu erkunden.

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Was sagt die Bindungstheorie?

Die Bindungsforschung entwickelte sich im 20. Jahrhundert und ist ein wichtiger Bestandteil der Entwicklungspsychologie. Grundsätzlich steht fest: Jeder Mensch hat ein angeborenes Bedürfnis nach Beziehungen. Doch das Verhalten in Beziehungen unterscheidet sich häufig. Um dieses Verhalten zu begründen und erklären, gibt es die Bindungstheorie. John Bowlby und Mary Ainsworth sind Namen, die in diesem Zusammenhang oft genannt werden. Schließlich waren es der Kinderpsychiater und die Psychologin, die herausfanden, dass das erste Lebensjahr grundlegend für die Entwicklung und sichere Bindung eines Kindes ist. Die Bindungstheorie nach Bowlby besagt, dass besonders die Beziehung und das sich gegenseitig bedingende Verhalten zwischen Kind und Bezugspersonen ausschlaggebend seien.

Was ist Ur-Vertrauen?

Babys kommunizieren ihre Bedürfnisse und ihr mangelndes Wohlbefinden, indem sie weinen oder schreien. Mit der Reaktion der jeweiligen Bezugsperson entscheidet sich, ob das Baby Vertrauen in diese Person, aber auch sich selbst und die eigenen Bedürfnisse entwickelt. Reagiert die Mutter, der Vater oder eine sonstige Person direkt auf das Weinen oder Schreien und erfüllt das Bedürfnis des Kindes, wächst das Vertrauen. Dieses erste, sich aufbauende, tiefliegende Vertrauen nennt sich auch Ur-Vertrauen. Es ist elementar für das Selbstvertrauen und Verhalten eines Menschen. Nur wenn Kinder die Erfahrung machen, sich sicher zu fühlen und gehört zu werden, trauen sie sich etwas zu und erkunden auf natürlich-neugierige Weise die Welt.

Übrigens: Das Grundbedürfnis nach Nähe, Sicherheit und Geborgenheit trägt jeder Mensch von Geburt an in sich. Und ein Baby tut alles dafür, dieses Bedürfnis zu stillen. Wenn das nicht durch die direkte und adäquate Reaktion der Bezugsperson geschieht, passt sich das Kind dementsprechend an, beispielsweise durch eine Nicht-Kommunikation oder eben schrumpfendes Vertrauen in sich selbst. Diese Anpassung zeigt sich im Bindungstyp und -verhalten.

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Bindungstypen und Psychologie

Der Psychoanalytiker John Bowlby stellte seine Bindungstheorie auf und die Psychologin Mary Ainsworth überprüfte diese Theorie anschließend in Experimenten. Dabei entwickelte sie den Fremde-Situation-Test, um Bindungsverhalten, Strategie und Bindungsmuster eines Kindes zu ermitteln. Bei diesem Test wurden Kinder zwischen 12 und 18 Monaten mit ihrer Mutter in einen Raum geführt. Die Mutter sollte etwas lesen, das Kind durfte spielen. Dann betrat eine fremde Frau den Raum und interagierte mit dem Kind, woraufhin die Mutter den Raum verließ und nach kurzer Zeit wieder zurückkam. Das wurde wiederholt. Anhand der Reaktion des Kindes konnte Ainsworth das Bindungsverhalten feststellen und den Bindungstypen erkennen. Basierend auf Theorie und Praxis entstanden schließlich die vier Bindungstypen nach Bowlby und Ainsworth.

An dieser Stelle ist wichtig zu sagen, dass dieses Experiment heute natürlich genauso zwischen Vater und Kind durchgeführt werden könnte. Die Mutter steht lediglich stellvertretend für eine Bezugsperson. Die Bindungstypen werden heute in der Psychoanalyse sowie Psychotherapie, Entwicklungspsychologie und Pädagogik berücksichtigt.

Welche Bindungstypen gibt es?

Laut der Bindungstheorie gibt es vier Bindungstypen. Diese Bindungstypen geben sowohl Aufschluss darüber, wie die Beziehung zwischen Kind und Bezugsperson ist, als auch darüber, wie sich das Kind weiterentwickelt.

  • Beziehungstyp 1: Unsicher-vermeidend: Kinder dieses Bindungstyps reagierten wenig bis gar nicht auf das Verschwinden der Mutter und spielten seelenruhig weiter. Diese Kinder wirken selbstbewusst, unkompliziert, ruhig und selbstständig. Doch das Bindungsverhalten deutet darauf hin, dass sie nicht sicher gebunden sind und über wenig Ur-Vertrauen verfügen. Das könnte daraus resultieren, dass ihre Eltern nicht zuverlässig auf ihre Bedürfnisse reagierten. Dadurch haben sie gelernt, ihre Gefühle nicht offen zu kommunizieren und ihre eigenen Bedürfnisse nicht ernst zu nehmen. Außerdem kann sich das Verhalten so äußern, dass Kontakt vermieden wird, um weiteren schmerzhaften Erfahrungen wie Zurückweisung vorzubeugen. Alles über das Thema Selbstliebe erfährst du hier.
  • Bindungstyp 2: Sicher: Diese Kinder weinten oder schrien, wenn die Mutter den Raum verließ, waren froh, als sie zurückkehrte, und widmeten sich dann wieder ihrem Spiel. Darin zeigt sich, dass Vertrauen ihren Bezugspersonen gegenüber besteht. Sie fühlen sich sicher und zeigen deshalb offen ihre Gefühle und entdecken ohne Angst die Welt. Es herrscht eine gesunde Balance aus Bindung und Entdeckungswillen.
  • Bindungstyp 3: Unsicher-ambivalent: Kinder dieses Beziehungstyps versuchten zu verhindern, dass die Mutter geht. Sie zeigten sich sowohl beim Verlassen als auch beim und nach dem Zurückkehren ängstlich, verunsichert und unentspannt. Das deutet daraufhin, dass sie weder Verlässlichkeit erfahren noch Vertrauen gelernt haben, sondern vielmehr ein ambivalentes und unvorhersehbares Verhalten ihrer Bezugsperson erlebt haben. Deshalb reagieren auch sie ambivalent - sie sind wütend und suchen gleichzeitig Nähe - und sind stark auf ihre Bezugsperson fixiert. Dadurch können sie sich weniger gut allein beschäftigen und frei entfalten.
  • Bindungstyp 4: Unsicher-desorganisiert: Bei diesem Bindungstyp handelt es sich um Kinder, die emotional ambivalent und widersprüchlich auf die Rückkehr der Mutter reagierten - mit Stimmungsschwankungen, Aggression oder wenig Gefühlsäußerung. Das Ur-Vertrauen ist verschwindend gering und die Fähigkeit, stabile Beziehungen aufzubauen, ebenfalls. Hinter diesem Bindungstyp stecken häufig traumatische, unverarbeitete Erlebnisse mit primären Bezugspersonen, die später zu psychischen Erkrankungen und Bindungsangst führen können.

Bindungstypen bei Erwachsenen

Diese vier Bindungstypen lassen sich auch auf Erwachsene übertragen. Natürlich lässt sich nicht alles verallgemeinern und kategorisieren, doch es gibt für alle Merkmale von Beziehungstypen Beispiele.

Der sichere Bindungstyp zeichnet sich im Erwachsenenalter zum Beispiel dadurch aus, dass er seine Gefühle regulieren und seine Bedürfnisse kommunizieren kann sowie anderen vertraut. Dem unsicher-vermeidenden Beziehungstyp fällt es schwer, stabile und langfristige Beziehungen aufzubauen, Gefühle mitzuteilen sowie sich auf körperliche und emotionale Nähe einzulassen.

Der unsicher-ambivalente Beziehungstyp begibt sich in Beziehungen gerne in eine Abhängigkeit, nicht nur von einer Person, sondern auch von deren Bestätigung, und hat große Angst vor Zurückweisung und Trennung. Dieser Typ neigt zu Eifersucht und hat meist ein geringes Selbstwertgefühl. Und der unsicher-desorganisierte Beziehungstyp hat große Schwierigkeiten, die eigenen Gefühle zu regulieren, zu vertrauen und Beziehungen aufzubauen. Er ist in seinem Verhalten außerdem inkonsistent bis widersprüchlich. So prägen die Bindungstypen Erwachsene in ihrem Verhalten. Doch welche Auswirkungen haben sie noch?

Bindungstypen und Auswirkungen

Die Bindung in der Kindheit zeigt sich in der körperlichen und psychischen Gesundheit eines erwachsenen Menschen, in seinen zwischenmenschlichen Beziehungen und im Bindungsverhalten seinen eigenen Kindern gegenüber. Sicher gebundene Kinder werden meist zu sicher gebundenen Erwachsenen, die meist wiederum positive Bindungserfahrungen in Beziehungen machen. Nicht selten führt sich der Kreislauf selbst fort. Aber Bindungstypen können sich auch verändern im Laufe des Lebens, je nach Erfahrungen.

Folgen unsicherer Bindung

Wer in seiner Kindheit keine sichere Bindung zu seinen Bezugspersonen aufbauen konnte, wird auch später Schwierigkeiten haben, anderen zu vertrauen. Aus dieser unsicheren Bindung in der Kindheit kann sich später eine Bindungsstörung oder Beziehungsunfähigkeit entwickeln. Diese drückt sich zum Beispiel darin aus, dass ein geringes bis kein Selbstvertrauen und Vertrauen in andere besteht, dass Gefühle von einem Extrem ins andere umschlagen, es an Affektkontrolle und der Fähigkeit, gesunde Beziehungen zu führen, mangelt.

Bindungstypen und Beziehungen

Wie du bereits herauslesen konntest, prägt deine kindliche Bindung nicht nur deinen Bindungstypen, sondern dein Bindungstyp auch deine heutigen Beziehungen und Partnerschaften. Denn Beziehungen basieren immer auf Vertrauen, der Kommunikation von Gefühlen und Bedürfnissen und dem eigenen Selbstbild.

Dein Bindungstyp beeinflusst deinen Bindungsstil. Dieser kann sicher, vermeidend oder auch ängstlich sein. Menschen mit sicherem Bindungsstil fällt es nicht schwer, Nähe, Vertrauen und Beziehungen aufzubauen. Sie haben sowohl von sich selbst als auch ihrer Umwelt ein positives Bild. Der vermeidende Bindungsstil hingegen zeichnet sich durch Schwierigkeiten mit Nähe und Vertrauen aus. Diese Menschen sind eher misstrauisch und lieber unabhängig. Menschen mit ängstlichem Bindungsstil fürchten sich vor Zurückweisung, sie sehen sich selbst eher negativ, ihre Umwelt jedoch eher positiv. Diese Kategorisierung kann Paaren dabei helfen, Verständnis füreinander aufzubauen und Probleme zu lösen.

John Bowlby zufolge sei der Bindungstyp eine Art Mechanismus für Beziehungen. Er präge maßgeblich unsere Erwartungen und Muster in Beziehungen. Doch andere Wissenschaftler:innen wiederum sind der Meinung, dass die Art der Beziehung den Bindungstyp beeinflusst. Du kannst in romantischen Beziehungen beispielsweise dem sicheren Bindungstyp entsprechen, während du in familiären Beziehungen eher dem unsicheren entsprichst.

Das Gute ist, dass du dir deines Bindungstyps, deiner Verhaltensweisen und Muster bewusst werden kannst. Und wenn du dir über etwas bewusst bist, kannst du es auch ändern. Du kannst dir professionelle Hilfe suchen, um an deinem Vertrauen, deinem Selbstwertgefühl oder deiner Kommunikationsfähigkeit zu arbeiten, um gesunde Beziehungen führen und als Elternteil eine sichere Basis für deine Kinder zu bilden.

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